Das Social Web ist in den Marketing-Abteilungen der Unternehmen salonfähig geworden. Vielen Kommunikationsverantwortlichen stellt sich nun die Frage: „Wie spreche ich meine Zielgruppe richtig an?“ – förmlich mit „Sie“ oder persönlich mit „Du“?

Social Media-Plattformen verbinden Menschen mit gemeinsamen Interessen, werden in erster Linie zu privaten Zwecken genutzt und pflegen infolgedessen einen eher informellen Kommunikationsstil. Der Griff zum „Du“ liegt nahe, führt aber zu einer instinktiven Abwehr, wenn die Kundenansprache bislang per „Sie“ erfolgte. Das Dilemma der Entscheidungsfindung ist vorprogrammiert.

Um es vorwegzunehmen: Eine eindeutige oder richtige Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Beide Anredeformen haben ihr Pro und Kontra. Viele Unternehmen entscheiden sich für das „Du“, da es dem informellen Kommunikationsstil der Social Media-Plattformen entspricht und ein „Sie“ oftmals als zu starr empfunden wird. Psychologische Faktoren wirken hier positiv ein: Das „Du“ führt zu einer höheren emotionalen Bindung, was dem Erfolg jeder Marke zuträglich ist und überdies kommunikationsfördernd wirkt. Angesichts der Verbreitungsmechanismen der sozialen Netzwerke kann dies den Bekanntsheitgrad einer Marke durchaus steigern. Das „Du“  löst Distanz aus, vermag vertrauensbildend zu wirken, kann aber auch schnell ins allzu Vertraute umschlagen, je nachdem wie der Adressat auf ein ungefragtes Duzen reagiert.

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Das „Sie“ wahrt hingegen professionellen Abstand und ist ein konventionelles Zeichen von Respekt und Höflichkeit. Die Studie „Kundenerwartungen im Social Web“ legt das Siezen im Rahmen der Unternehmenskommunikation sogar nahe: 44 Prozent der Befragten geben an, dass sie von Unternehmen gesiezt werden möchten (nur 13 Prozent wollen geduzt werden, immerhin 43 Prozent ist es egal). Viele Social-Web-Nutzer betrachten das Duzen jedoch nicht automatisch als Zeichen von Respekt- oder Taktlosigkeit. Tatsächlich lässt sich beobachten, dass viele Unternehmen ihre Kunden auf Plattformen wie Facebook, Twitter und Google+ duzen, während auf der Website und im Unternehmensblog gesiezt wird. Hier kann man zurecht kritisch fragen, warum derselbe Nutzer einmal per „Sie“, ein andern Mal per „Du“ adressiert wird, nur weil er den Kommunikationskanal wechselt. Eben dies kann aber ausschlaggebend für die Erwartungshaltung des Konsumenten sein: Ein Unternehmensblog ist mitunter thematisch bunter und informeller als die Website einer Firma, die auch Investoren und Geschäftspartner adressiert, wohingegen Corporate Blogs meist auf Konsumenten ausgerichtet sind. Insofern erscheint hier ein Wechsel vom „Sie“ auf ein „Du“ durchaus gerechtfertigt.

Andere Unternehmen entscheiden sich wiederum dafür, konsequent auf allen Kanälen zu siezen. Das lässt sich insbesondere bei traditionsreichen Unternehmen beobachten, während das Duzen verstärkt von jungen Unternehmen aus dem IT-, Kommunikations- und Unterhaltungssektor kultiviert wird. Dies zeigt, dass das Duzen oder Siezen auch eine Frage der strategischen Ausrichtung des Unternehmens und der Unternehmenskultur ist. Gerade seriöse Unternehmen wie Versicherungen oder Banken wirken schnell unglaubwürdig und bemüht, wenn sie ihre Kunden duzen.

Doch auch weitere Faktoren spielen eine Rolle: Die Frage, ob man in der Social Media-Kommunikation duzt oder siezt, muss überdies die Zielgruppe und den gewählten Kommunikationskanal berücksichtigen, denn jedes Individuum füllt in verschiedenen sozialen Umfeldern eine Mehrzahl sozialer Rollen aus, mit jeweils spezifischem Kommunikationsmuster und unterschiedlichen Gebrauchsweisen des „Du“ und „Sie“.

Laut einer repräsentativen Umfrage reservieren rund 60 Prozent der Deutschen das „Du“ für enge Freunde und Verwandte. Auch dies suggeriert, man müsse im Social Web tendenziell siezen. Schaut man sich das Nutzungsverhalten in den sozialen Netzwerken jedoch genauer an, so zeigt sich, dass diese primär für private und kommunikative Zwecke genutzt werden, sie also einen informellen Raum darstellen, in dem das Duzen durchaus gängig und oftmals auch akzeptiert ist. Gerade bei Unternehmen, die im Unterhaltungssektor tätig sind, wird das „Du“ bereitwillig angenommen und erscheint authentischer als das formale Siezen. Auch eine junge Zielgruppe empfindet das Duzen als weniger problematisch als eine ältere. Ein gutes Beispiel für die Berücksichtigung der unterschiedlichen Zielgruppen bietet die Daimler AG, die im Blog und auf Twitter siezt, auf der Facebook Career Page, die sich in erster Linie an junge Talente richtet, jedoch duzt.

Besonders spannend wird es auf beruflichen Netzwerken wie Xing oder LinkedIn. Auch hier treffen Menschen mit gemeinsamen Interessen aufeinander, aber zu dezidiert beruflichen Zwecken. Hier siezen sogar Unternehmen, die sonst auf allen Kanälen konsequent duzen, wie das Beispiel DriveNow zeigt.

Offensichtlich ist die Beantwortung der Frage nach der richtigen Kundenansprache im Social Web eine überaus komplexe Angelegenheit, die sich für jedes Unternehmen immer wieder neu stellen muss, denn Zielgruppen und Plattformen verändern sich. Manche Kommunikationsverantwortliche versuchen das Dilemma  zu umgehen, indem sie die direkte Anrede ganz vermeiden oder das allgemeinere „Ihr“ bzw. „Euch“ wählen.

Bei der Entscheidung nach dem „Du“ oder dem „Sie“ empfiehlt es sich, die klassische Laswell-Formel aus der Kommunikationswissenschaft heranzuziehen:

WER sagt WAS, in welchem KANAL zu WEM mit welchem EFFEKT?

WER?

Hier kommen die Unternehmenskultur und die Frage der Authentizität ins Spiel: Ein junges Start-up mit flachen Hierarchien duzt eher als ein traditionsreiches Unternehmen mit vielen Kontrollinstanzen. Auch Firmen, die Produkte und Dienstleistungen für den Freizeitbereich anbieten, erscheint das „Du“ oftmals adäquater als das „Sie“.

WAS?

Was steht bei Ihrem Social Media-Auftritt im Vordergrund? Ein Fokus auf Informationsvermittlung spricht für das Siezen, der beste Kanal dafür ist momentan sicherlich Twitter. Geht es um Kundenbindung und Stärkung der Marke kann ein persönliches Duzen von Vorteil sein.

KANAL?

Um den emotionalen Aspekt zu bedienen, sind Plattformen wie Facebook, aber auch Foto-Communities wie Pinterest empfehlenswert. Insbesondere letztere wirken durch die Bildansprache stark affektiv, eignen sich aber nicht für jedes Unternehmen. Ein „One size fits all approach“ ist keine gute Lösung, vielmehr sollte jede Plattform, auf der man sich bewegen will, genauer unter die Lupe genommen werden. In den Statistiken der Facebook Pages lässt sich beispielsweise erkennen, wie sich die eigenen Fans auf verschiedene Altersgruppen verteilen. Google+ überzeugt dagegen durch die Circles, in denen verschiedene Nutzergruppen verwaltet und zielgruppengerecht angesprochen werden können. Wichtig ist aber auch: Wann wird kommuniziert? Manche Zielgruppen sind auf verschiedenen Plattformen zu bestimmten Zeiten stärker aktiv als zu anderen. Unter Umständen lohnt es sich nicht, gleich am Vormittag zu posten, nur weil der Nachmittag voller Meetings ist, wenn die Zielgruppe gerade aktiv wird.

WEM?

Je besser man seine Zielgruppe kennt, umso gezielter kann man sie ansprechen. Jüngere Menschen akzeptieren das „Du“ bereitwilliger als ältere. Gleiches gilt für Nutzer privater sozialer Netzwerke im Gegensatz zu denen in beruflichen sozialen Netzwerken. Freilich kann ein Nutzer auf mehreren Plattformen aktiv sein, die Erwartungshaltung kann sich aber von Fall zu Fall deutlich unterscheiden. Eine Entscheidung zugunsten des „Du“ oder „Sie“ kann auch als variable Regel betrachtet werden. Hat sich ein Unternehmen beispielsweise für das „Sie“ auf Facebook entschieden, wird aber von einem Nutzer in einer Anfrage geduzt, kann man die Einladung gern annehmen und zurück duzen, da hier eine entsprechende Bereitschaft signalisiert wurde. Wichtig ist nur im Auge zu behalten, dass die Zielgruppe sich mit der gewählten Ansprache wohl fühlt.

EFFEKT?

Dies leitet zum letzten Punkt über: Gestaltet sich die Kundenkommunikation dialogisch und bereichernd, kann davon ausgegangen werden, dass die Ansprache gut gewählt ist und zumindest toleriert wird. Stillschweigen auf der Adressatenseite kann dagegen darauf verweisen, dass die falsche Anrede genutzt wird. Dies ist jedoch kaum eindeutig zu bestimmen, es können auch schlicht irrelevante Inhalte vermittelt werden oder es wird zu ungünstigen Zeiten kommuniziert. Hier kann ein gezieltes Monitoring der Social Media-Aktivitäten helfen. Deutliche Zeichen für eine Fehlentscheidung in der Ansprache sind Beschwerden über ein ungefragtes Duzen oder auch ein spontanes Duzen gesiezter Konsumenten. Ein Überdenken des Kommunikationsstils kann bei gehäuftem Auftreten solcher Fälle durchaus angebracht sein.

Wie sprechen Sie Ihre Kunden und Interessenten an? Mussten Sie Ihre Kommunikationsstrategie hinsichtlich des Duzens bzw. Siezens schon einmal überdenken? Ich freue mich auf Ihre Kommentare.